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Dienstag, 16. September 2014

Textfragment Zug II

Immer wieder stehe ich am Bahnhof. Nicht um zu verreisen oder um anzukommen. Ich beobachte die Züge, die, auf Schiene gebracht, irgendwo und manchmal genau hier, ihr Ziel erreichen. Mit ihnen die Fahrgäste, offensichtlich der Zielsicherheit der Züge bewusst, die sich auf dieses umweglose Unterfangen einer Zugfahrt einlassen. Ich beobachte Menschen, wie sie schnurstracks, wie auf Schienen, ihren Bahnsteig finden und nie das Gleis wechseln geschweige denn verschoben werden, wie es die Alltäglichkeit eines Bahnhofes vorsieht. Das Handy ans Ohr geklemmt, eilen sie durch die Hallen, lösen noch ein Ticket um dann im punktgenau kalkulierten letzten Moment zuzusteigen. Jedes Mal beschleicht mich der Verdacht, dass bei diesen Menschen jeder Schritt sitzt. Ich vermute sogar, dass die Schritte bis zum garantierten, durch die Bezahlung des Aufpreises versicherten Fensterplatzes, abgezählt sind. Man könnte ihnen sämtliche Sinne nehmen, ohne, dass der Unterschied jemanden auffallen würde. Schließlich gewöhnt sich das Auge an gehetzte Bilder, die ein klar Sehen unmöglich machen, die omnipräsente Eintönigkeit stößt auf kein offenes Ohr, und der geschmacklose Einheitsbrei der Ereignisse benötigt kein Begreifen der Umstände.
Zu gerne würde ich fragen, ob Fahrplanänderungen als taktlos empfunden werden.

Manchmal durchdringt die Halle eine Verunsicherung, die ganze Menschengruppen in eine Aufgeregtheit versetzt, das sich durch hektisches hin und her Eilen, konzentriertes Lesen und permanentes Kontrollieren von Tickets und dem folgenden Abgleich mit Anzeigetafeln bemerkbar macht.

Die Furcht, den Bahnsteig, den Zug, das Abteil zu verwechseln, treibt den eingefleischtesten Introvertierten dazu, wildfremden Menschen nähere und vor allem zielführende Informationen abzuringen. Die Vorstellung am falschen Dampfer zu sein, fordert jede Form der Absicherung um nicht gänzlich in Panik zu verfallen. Dafür wird die persönliche Vorliebe des für sich Seins zur Seite geschoben, Sprachbarrieren überwunden und Schicksalsgemeinschaften eingegangen, wenn man selbst schon verloren, auf noch jemanden trifft, der das gleiche Ziel verfolgt und wie man selbst, zwischen den mannigfachen Zu- und Ausstiegsmöglichkeiten umherirrt.
Jedem hier scheint klar zu sein, dass, sobald sich die falschen Türen hinter einem schließen, das Leben einen gänzlich anderen Verlauf nimmt als geplant. Schließlich ist man ja der Hoffnung erlegen, dass mit dem Zug reisen, in einem Zug durchreisen, bedeutet. In der Welt des Zugreisenden gibt es keine Umwege, keine Staus, kein Verfahren und der getakteten Planbarkeit sei Dank, mit Sicherheit kein Einfahren.

Risikoreich ist im Grunde nur das Zusteigen in den vermeintlich falschen Zug, auch wenn sich vielleicht im Nachhinein hätte herausstellen könnte, dass andere Ziele durchaus erstrebenswert gewesen wären.

Spätesten nach Sicherstellung, dass man selbst und der mitgebrachte Ballast, richtig sitzt, stellt sich Erleichterung ein, die durch eine Extraportion Endorphine belohnt wird. Schließlich hat man etwas geschafft auch wenn sich das Erreichen auf das Einnehmen des zugewiesenen Platzes beschränkt.
Das unkontrollierte, an einen Spasmus erinnernde Winken aus dem Zugabteil ist vermutlich nichts anderes als eine Stressabbaureaktion die sich automatisch nach einer überstandenen, wenn nicht lebensbedrohliche dann zumindest lebensverändernden Situation, zeigt.


Immer wieder stehe ich am Bahnhof, verstehe nur Bahnhof und frage mich, ob ich jemals wieder Lust verspüren werde, auf den Zug aufzuspringen.

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