Urlaub von mir selbst. Das hatte ich mir vorgenommen. Um mir
meinen Wunsch erfüllen zu können, schien mir eine Reise genau das Richtige zu
sein. Das Reiseziel an sich sollte es mir leicht machen, mich selbst für die
Zeit des Aufenthalts zu vergessen. Doch alles, was mir in den Sinn kam, hatte
mit mir zu tun. Entweder, weil es etwas war, das ich mochte oder zutiefst
ablehnte. Es durfte also nichts sein, an das ich denken konnte. Also beschloss
ich, ein Reisebüro aufzusuchen um einen Profi mit meinem Anliegen zu
konfrontieren. Schließlich sind die Mitarbeiter von Reiseagenturen darauf
geschult, außergewöhnliche Abenteuer zu verkaufen. Und das ich mich auf ein
Abenteuer einlassen würde, dessen war ich mir sicher. In meiner Vorstellung war
das Fremd sein die Grundvoraussetzung um überhaupt etwas Abenteuerliches
erleben zu können und das wollte ich für mich ja sein - fremd und nicht ich
selbst!
Also betrat ich das Büro eines Reiseanbieters den ich nach
dem Prinzip des Zufalls auswählte. Zufällig gibt es nur einen in meiner
Umgebung. Die Dame hinter dem Schreibtisch begrüßte mich in Südseemanier. Es
fehlte nur der Blumenkranz aus exotischen Blüten, den sie mir, als Zeichen ihrer Freude über mein Erscheinen, um die Schultern hätte legen können. Wobei ihr herzliches Hallo reichte, um mich Willkommen zu fühlen. Lächelnd wies sie mir einen Platz ihr
gegenüber zu und bot mir eine Erfrischung an. Ich war aufgeregt und konnte es
kaum erwarten mehr über meine Reise zu erfahren, die sie mir mit Sicherheit
verkaufen konnte. "Wohin darf die Reise gehen?" wollte die
Reisefachfrau meines zufälligen und dafür umfassenden Vertrauens wissen.
"Ich will Urlaub von mir selbst machen!" antwortete ich präzise. Die
Dame nickte verständnisvoll und offensichtlich wissend. Umgehend hämmerte sie
irgendwelche Daten in ihren Computer und nach einer Minute ratterte bereits der
Drucker hinter ihr. Zufrieden entnahm sie die Seiten und legte sie mir vor.
"Wenn Sie die Entspannung suchen, werden Sie sie mit Sicherheit in einem
Spa finden. Ich habe gerade ein Top-Angebot hereinbekommen, das Sie bestimmt
begeistert!" Ich überflog das bunte Blatt Papier und wusste, dass sie mich
nicht ganz verstanden hatte. "Ich suche keine Entspannung - ich will
Urlaub von mir selbst!"
"Jetzt verstehe ich!" meinte die Dame selbstsicher
und widmete sich wieder ihrem Computer. Der Ausdruck, den sie mir Sekunden
später vorlegte, war genauso bunt wie der andere - war ich zuvor in einem Spa
Tempel untergebracht, fand ich mich nun in einem indischen Ashram wieder.
"Spirituelle Reisen werden wirklich immer beliebter. "Komfortabel
sich selbst finden" das ist das Motto dieses Reiseanbieters. Hier brauchen
Sie auf keine Annehmlichkeit zu verzichten und finden trotzdem zu Ihrer
Erleuchtung. Dafür wird garantiert!" "Ich will mich selbst nicht
finden - ich will mich ja vergessen...zumindest einen Urlaub lang!" wandte
ich ein, etwas unsicher, ob die Dame wirklich verstand, wovon ich redete.
"Ach so - wieso sagen Sie das nicht gleich! Ballermann Hardcore! Moment -
ich habe hier einen All-inclusive-Club, der auch alle Spirituosen inkludiert
hat..." Wissend, dass ich betrunken noch mehr ich selbst war, lehnte ich
höflich aber bestimmt ab, ohne näher darauf einzugehen. Nun war die Dame hinter
dem Schreibtisch etwas ratlos. Sie lehnte sich zurück in ihren Sessel und
überlegte. Dabei überflog sie mit ihren Blicken die Prospekte, die sich auf
ihrem Schreibtisch türmten, ohne dabei unordentlich zu wirken. Ich gab ihr
gerne die Zeit, obwohl ich mich mit jeder Minute die stillschweigend verstrich,
unwohler fühlte. Um ihr eine neuerliche Eingebung, zumindest in den Computer,
zu ermöglichen, versuchte ich erneut zu erklären, was ich mir von dieser Reise
erwartete: "Ich muss, seit ich denken kann, jeden Tag ich selbst sein und
ich merke, dass ich davon Abstand brauche um mich von mir zu erholen!" Den
Blick, den sie mir zuwarf, ließ mich daran zweifeln, dass sie mir gleich ein passendes
Angebot vorlegen würde. Um mich an einem Funken Hoffnung festhalten zu können,
griff ich nach den Angeboten, die sie mir bereits vorgelegt hatte. Zumindest
wollte ich ihr damit zeigen, dass ich ernsthaftes Interesse daran hatte, diese
meine Reise zu buchen, die vermutlich irgendwo in ihrem Computer zu finden war.
"Also Sie wollen nicht als Sie selbst verreisen..." begann sie
zögerlich und mehr zu sich selbst "...und Sie wollen in dieser Zeit auch
nicht daran erinnert werden, wer Sie sind...." Nun hatte sie wieder mein
volles Vertrauen. Sie hatte mich verstanden und ich wusste, dass sie in jedem
Moment ihren Computer mit den entsprechenden Parametern füttern würde um mir
meinen Urlaubstraum zu erfüllen. Doch der Moment kam nicht. Stattdessen beugte
sie sich vorne über um mir leichter ins Gewissen reden zu können: "Liebe
Frau, das was Sie von mir wollen, kann ich ihnen zwar buchen, aber nur One Way.
Ein Zurück gibt es leider nicht, das muss Ihnen klar sein, wenn Sie etwas in
der Art vorhaben." Verdutzt sah ich sie an. Wie konnte sie behaupten,
etwas buchen zu können ohne Rückfahrschein? "Und außerdem müssten Sie
alles zurücklassen, nämlich wirklich alles, auch das Angenehme, das Sie an sich
schätzen." Irritiert und gleichzeitig neugierig wollte ich wissen, wohin
denn diese Reise gehen würde. Sie antwortete: "Egal wo Sie ankommen - Sie
müssen nur aussteigen." Ich überlegte kurz und fragte um auf Nummer Sicher
zu gehen: "Was kostet mich die Reisehaftpflichtversicherung?" Die
Dame schmunzelte und tippte wieder auf ihrer Tastatur. Eine Minute später
überreichte sie mir ein Angebot für einen Kurztrip nach Tripsdrill, Übernachtung
im Baumhaus inklusive, mit den Worten: "Machen Sie erstmal das. Und erst wenn
Sie für den Ausstieg wirklich bereit sind, kommen Sie bitte wieder!“
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