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Dienstag, 7. Januar 2014

Textfragment Ersatz

Es gibt einen Satz, der mich seit vielen Jahren begleitet und den ich im Laufe der Zeit zu schätzen lernte. Das erste Mal stieß ich bewusst auf: "Jeder ist ersetzbar!" im Rahmen einer Soziologievorlesung. Wie stark mich dieser Satz verunsicherte bemerkten bestimmt alle Anwesenden anhand meiner harten, fast schon hysterisch anmutenden Argumentation. Ich konnte nicht begreifen, dass dieser Satz nichts mit Hartherzigkeit, mit Boshaftigkeit zu tun hatte. Zu sehr war das Ersetzen geprägt von Verachtung. In der Realwirtschaft angekommen wurde aus einem Diskussionsanstoß eine reale Bedrohung. Der Satz wurde häufig gebraucht, nicht nur in Krisenzeiten. Ich habe festgestellt, dass das Drohen als Ersatz für Lob verwendet wurde. Ich nehme sogar an, dass sich der eine oder andere im Gebrauch dieses Satzes eine zusätzliche Motivation erhoffte. Dieses Drohen gewann an Gewicht trotz des inflationären Einsatzes. Ich kann mich erinnern, dass Mitarbeiter resigniert den Satz gebrauchten, um sich weiter anzustrengen, um den Tag, die Woche, das Monat zu überstehen. Ich wollte nicht ersetzt werden. Im Gegenteil! Ich war fest überzeugt, unersetzbar zu sein. Ich grinste, wenn der Satz an mir vorüber ging! Dafür begann ich Freizeit durch Arbeitszeit zu ersetzt. Die Unersetzbarkeit bescherte mir ein Verantwortungsgefühl, dass mich in einen Rechtfertigungsnotstand manövrierte, wenn sich nicht alles um meine Arbeit drehte. Ich musste mich vor MIR rechtfertigen! Keiner hat das von mir verlangt, keiner hat mich dazu gezwungen! Meine Vorstellung vom Ersetzt-werden reichte völlig aus. Mit den Jahren erfolgte meine berufliche Emanzipation. Mit meinem Wunsch weiterzukommen, Wirksam zu werden,veränderte sich der Satz radikal. Ich verstand plötzlich, dass es nicht nur darum geht ersetzt zu werden. Auch ich kann ersetzen! Jeder und alles ist ersetzbar! Arbeitgeber, Arbeitsorte, sogar meine bisherige Tätigkeit. Ich erinnere mich, dass ich diesen Moment der Erkenntnis als Befreiung empfunden habe. Die Dankbarkeit, ersetzbar zu sein, befreite mich von einer Last, die ich über Jahre in mir, mit mir trug. Das Wissen ersetzen zu können bescherte mir Möglichkeiten, die mein Leben nachhaltig beeinflussten. Ich habe ersetzt - und sogar ersatzlos gestrichen! Wenn ich heute höre: "Jeder ist ersetzbar!" antworte ich: "Stimmt - deshalb strengt euch an!"

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