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Mittwoch, 12. Februar 2014

Textfragment Vater Unser

Gott ist Konstruktivist. Das vermute ich zumindest, seitdem wir uns das letzte mal getroffen haben. Wir pflegen seit Jahrzehnten eine lose Beziehung, die es mit sich bringt, dass wir uns zufällig irgendwo begegnen um dann einen schnellen Kaffee miteinander zu trinken bevor ich zum nächsten Termin hetze. Gott hat nie Stress, geschweige denn einen Termin. Das liegt nicht daran, dass er Gott ist. Er hat seinen Festnetzanschluss gekündigt und aus Ermangelung eines Bonitätsnachweises keinen Handyvertrag bekommen. Er ist so gut wie unerreichbar und kann daher keine Termine vereinbaren. Somit beschränkt er sich darauf sein Tagesgeschäft in der Gegend herumziehend abzuwickeln. Wer Zeit und Lust hat, mit ihm über Gott und die Welt zu plaudern gesellt sich mit ihm ins nächste Stehkaffee, wie in meinem Falle, und bespricht das, was er glaubt, mit Gott besprechen zu können. Zwischen uns ist es immer entspannt. Dass ich nicht an ihn glaube erleichtert das Gespräch ungemein. Er muss sich mir nicht beweisen und ich brauch nicht auf die Knie zu fallen und hundert Vater Unser zu beten. Wir kommen schnell zur Sache und ich erzähle ihm von dem, was ich seit unserer letzten Begegnung an Erfahrungen gesammelt habe. "Ich habe mich seit unserem letzten Treffen den Konstruktivisten zugewandt," berichte ich, "ich glaube, ich weiß derzeit überhaupt nichts, außer, dass ich dazu vermutlich nie in der Lage sein werde!" "Das ist ja schon was," entgegnet er, "was glaubst du, wie es mir geht? Ständig wird von mir Allwissenheit verlangt, dabei wird verwechselt, dass ich ihnen lediglich meine Sicht auf die Welt liefern kann! Und anstatt sich selbst ein Bild ihrer Welt zu machen, verlegen sie sich darauf, ihre Eigenverantwortung, mein schöpferisches Glanzstück, abzuschieben um mich wegen jedem Pfurz um Rat zu fragen. In letzter Konsequenz machen sie mich dafür verantwortlich, wenn etwas radikal schief läuft oder verlassen sich blind darauf, dass ich es irgendwie hinbiege. Nur wie soll ich? Wie kann ich aus meiner Perspektive heraus entscheiden? Ich bin nicht mal von eurer Art! Als Gott kann ich sagen, ich habe dem Menschen all das, was er benötigt, mitgegeben, um seine Geschicke und letztendlich die der Erde, zum Wohlwollen aller hin zu lenken. Wenn ich sage, der Mensch ist die Perle der Schöpfung, dann weiß ich, dass das so ist. Und gleichzeitig beobachte ich, wie wenig die Menschen davon wahrnehmen und für sich zu nutzen wissen!" Ich starre ihn erstaunt an. "Ich weiß, was du mich fragen willst!" entgegnet er, bevor ich überhaupt mein Wort an ihn richten kann "wie ich tatenlos zusehen kann, wenn ich sehe, was auf der Welt geschieht? Das ist eben meine Wirklichkeit, meine aus mir konstruierte Sicht auf die Welt. Die ist, genauso wie deine oder die eines anderen,weder richtig noch falsch. Ich habe euch die Möglichkeit mitgegeben, selbstverantwortlich zu handeln. Dass euch das so schwer fällt, konnte ich nicht ahnen. Menschen gab es vor euch nicht. Was mir an euch gelungen ist, ist eure Chance zur Entwicklung. Ich will nicht darauf Einfluss nehmen, sonst wäre es nicht die eure!" Ich nickte stumm. Gott lächelte mich an und meinte aufmunternt: "Schau mich nicht so entgeistert an! Ihr macht das schon - vertrau mir!"

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