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Samstag, 8. Februar 2014

Textfragment Smalltalk

Jeder macht es. Jeder hat mehr oder weniger Freude daran. Die einen finden ihn zu platt, anderen geht alles andere zu weit. Wir geraten hinein und bedienen uns seiner, um die unerträgliche Stille zu durchbrechen, die uns an diversen Schlangen und Wartezimmern erwartet. Was an dieser Form der gesellschaftlichen Unterhaltung klein und unbedeutend sein soll, wie es mir der Name glauben machen will, entschließt sich mir. Vielmehr bin ich überrascht, was mir diese Unterhaltungsform an Unterhaltung zu bieten hat.
Die Herausforderung wie die Kunst liegt darin, jegliche Form des Tiefgangs zu vermeiden. Ich vermute, dass hier die selben Mechanismen unter anderen Vorzeichen am Werk sind, denen wir uns bedienen, um genau diesen herzustellen. Gleichzeitig gilt es, die eigene Wahrheit und Wahrnehmung radikal zu reduzieren und sich unter zu Hilfenahme von komplexen Hypothesen über den Unterhaltungspartner einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen man sich unter keinen Umständen zu nahe kommt.
Die Wahl des Themas kann situationsbezogen sein, wie die viel zu lange Wartezeit, oder etwas gänzlich anderes, von dem man annimmt, dass es den anderen gerade genug interessiert, um eine lose Konversation folgen zu lassen. Beides setzt ein Einschätzen der "Reizbarkeit" des Gegenübers voraus. Man stelle sich vor, man beginnt übers Wetter zu reden und das Gegenüber ist Hobbymeteorologe, der überhaupt nicht verstehen kann, wie man sich über Eisregen entrüsten kann! Zerstört ist jegliche Belanglosigkeit die es aufrecht zu erhalten gilt. Auf den Punkt gefragt: was traue ich dem Gegenüber an Minimalkonversation zu und was wird mir, im umgekehrten Fall, zugemutet?
Jede Form von Interaktion hat selbstoffenbarenden Charakter. Auch das Verstecken in der letzten Reihe des Klassenzimmers bedeutet vielleicht: Bitte bemerke, dass ich Ruhe haben will! Gleichzeitig ist das "ich zeige dir von mir" eine Aufforderung zu "zeige mir von dir". Das ist das Salz in der Kommunikationssuppe, die es braucht um Geschmack an der Unterhaltung zu finden. Hier liegt eine weitere Herausforderung, die der Smalltalk mit sich bringt. Um ihn am Laufen zu halten und vielleicht sogar als freudvolles Ereignis wahrzunehmen, muss eine Minimalbeziehung hergestellt werden. Das setzt keine Sympathie voraus. Es reicht, dass die Teilnehmer übereinkommen, sich die Zeit bis zum Aufgerufen werden, sprechend zu vertreiben. Die Übereinkunft erfolgt konkludent, indem die Unterhaltung läuft. Was jemanden dazu bringt im Gespräch zu bleiben hat wesentlich damit zu tun, dass die richtige Dosis an Selbstoffenbarung gefunden wird! Ein "die Sonne scheint" ist meist zu wenig, ein "ich sehne mich nach einer ausserehelichen Beziehung" würde für diese Unterhaltungsform schlicht zu weit gehen. Folgende Fragen werden intuitiv beantwortet: Wie viel Salz braucht mein Gegenüber um einzuwilligen? Und wie hoch liegt das Risiko, dass mir das Gegenüber den Smalltalk versalzt? Was bin ich maximal bereit zu salzen und was muss mein Gegenüber mindestens schlucken, damit ich mich in der Suppe überhaupt schmecke? In all diesen Fragen liegt Konfliktpotential! Nicht selten wird der Aufruf zur Wurzelbehandlung als Erlösung wahrgenommen, um aus der Lebensgeschichte des Unterhaltungspartners aussteigen zu können oder um nicht neben dem Eisschrank zu erfrieren. Gleichzeitig hinterlässt so mancher Smalltalk eine nachträglich empfundene Scham, aus der Befürchtung heraus, zu viel von sich preis gegeben zu haben. Manchmal konfrontiert man sich im Nachhinein mit dem Selbstvorwurf, unfreundlich gewesen zu sein. All das zeigt, wie schwierig es ist, die richtige Dosis zu finden.
Für Smalltalkinteressierte, wie ich es einer bin, ergibt sich eine weitere Ebene, die ich nicht außer Acht lassen will. Nämlich die implizite Frage nach dem Inhalt, der sich erst durch das, was konkret nicht gesagt wurde, hypothetisch beantworten lässt. Was wurde weggelassen? Und weshalb? Das Unterhaltsame an dieser Unterhaltungsform liegt genau darin, dass das, was besprochen wurde - sofern es sich um gelungen Smalltalk handelt, nur geringe bis überhaupt keine Bedeutung hat! Ich kann mich darauf konzentrieren, was mein Gegenüber unbeachtet verschweigt, bewusst zurückhält, andeutet und manchmal sogar verrät indem er sich verspricht. Genau hier wird mein Unterhaltungspartner als Mensch greifbar. Meine Bilder, die ich aufgrund der Smalltalksituation nicht zu hinterfragen wage, verdeutlichen mir, dass ich meine Zeit mit der komplexen Kreatur Mensch verbracht habe, mit der ich übereingekommen bin, nicht über den Sinn des Lebens zu sprechen.


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