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Freitag, 14. Februar 2014

Textfragment Schutzbestimmung

Auf dem Weg ins Büro fahre ich an einer Großbaustelle vorbei. Ich beobachte aus der Ferne, wie unzählige gelbe Punkte sich auf dieser Baustelle tummeln und einen Bürokomplex aus der Erde stampfen. Die gelben Punkte sind behelmte Arbeiter, Hilfsarbeiter, Ingenieure, Finanziers, Architekten, die alle, sobald sie die Baustelle betreten, selbstverständlich ihre Helme aufsetzten. Bei der Behelmung handelt es sich um eine gut sichtbare Schutzbestimmung, die dazu dient, den Menschen, die sich der Situation Baustelle aussetzten, den Umgang mit der Möglichkeit eines herunterfallenden Dachziegels zu ermöglichen, ohne dabei Leib und Leben zu riskieren. Keiner kam auf die Idee, Dachziegel zu verbieten oder gar eine Höhenbeschränkung von zwei Metern zu verordnen. Sicherheitsverordnungen und die dazugehörenden Maßnahmen sind dazu da, sich mit Notwendigkeiten oder Zwangsläufigkeiten zu arrangieren und denen, die sich in schwindelerregende Höhen begeben den größtmöglichen Schutz zu bieten. Betritt man in Österreich eine Lackiererei entdeckt man gänzlich vermummte Menschen, die sich, als Astronauten verkleidet,an ihr Tageswerk machen. Jedem ist klar, dass die Dämpfe der Lacke und der mögliche Hautkontakt die Gesundheit gefährden. Gleichzeitig erfüllt die Lackierung einen Zweck, der es, aus welchen Gründen auch immer, notwendig macht, sich diesem Risiko auszusetzten. Dafür gibt es Schutzkleidung, Atemschutz und besondere Entlohnung, die das eingegangene Risiko ausgleichen soll. Jede dieser Maßnahmen macht Sinn. Nicht nur für den Menschen an sich sondern auch für die Gesellschaft, die langfristig für Schäden an Leib und Seele aufgrund von Krankheit und Erwerbsunfähigkeit, aufzukommen hat. Diese Bestimmungen sind nicht Gutwill von einzelnen Unternehmungen, denen das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter am Herzen liegt. Die volkswirtschafliche Relevanz wurde vom Gesetzgeber erkannt und finden in entsprechenden Verordnungen und Gesetzen ihren Niederschlag. All das dient der Volksgesundheit, die weniger Geld kostet als die Volkserkrankung!
Ich bin erstaunt, wie wenig sich der Ökonom/Politiker zum Thema psychogene Erkrankungen im Zusammenhang mit vergifteten Arbeitsverhältnissen einfallen lässt. Man braucht kein Fachmann auf dem Gebiet zu sein um über reißerische Artikel zu stolpern, die Konflikte am Arbeitsplatz und deren Folgen thematisieren. Burnout und Mobbing sind mindestens genauso geläufig wie Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Jeder kennt zumindest eine Person, die mit einer derartigen Symptomatik zu kämpfen hat oder hatte. Jeder kennt den Mief von kalten Konflikten, der ganze Abteilungen lähmt. Es gibt immer wieder Versuche, dass Problem damit zu lösen, keine Konflikte zu erlauben. Sachlichkeit ist das Schlagwort, das versucht, der Situation Herr zu werden. Ich bin überrascht, wie stark der Glaube, nämlich dass sich Menschen auf dem Arbeitsplatz zu Maschinen verwandeln können, hält! Diese Form der Diktion führt  genau zu Konfliktsituationen, die es eigentlich nicht gibt und unter der Oberfläche ihr Unwesen treiben. Keiner kam auf die Idee, Dachziegel zu verbieten. Bei Konflikten ist das Verbieten eine weit verbreitete Patentlösung! Es wird übersehen, dass soziale Systeme immer in einem Spannungsfeld stattfinden und dass das Miteinander Konfliktpotential in sich birgt! Unabhängig davon, dass es eine Zwangsläufigkeit darstellt, wird auf das Potential, das in der Austragung liegt, gänzlich verzichtet. Das ein Haus ein Dach braucht, ist jedem klar - deshalb die Dachziegel. Das Entwicklungsprozesse grundsätzlich konflikthaft sind, dass Neues daraus entsteht indem mindestens zwei unterschiedliche Ansichten vertreten werden, wird oftmals ignoriert.
Der gesunde Umgang mit Konflikten steckt noch in den Kinderschuhen. Gleichzeitig ist beobachtbar, wie innovative Unternehmen es sich zur Aufgabe machen, das Potential zu heben um gleichzeitig ihre Belegschaft gesund zu halten. All diese Maßnahmen ist ambitioniertes Gutwill, dass vermutlich in erster Linie aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus Einzug gehalten hat. Aus volkswirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Sicht wird diesem Thema zu wenig Beachtung geschenkt. Die Präsenz dieser Thematik lässt sich aufgrund der umfassenden strukturellen Veränderungen nicht länger unter den Teppich kehren. Längst in einer Dienstleistungsgesellschaft angekommen, die bereits davon lebt, Know-How zu produzieren, wird es höchste Zeit, Konfliktmanagement breit und auf gesellschaftspolitischer Ebene zu diskutieren. Ich weiß nicht, wie viele Bauarbeiter jährlich von Dachziegel erschlagen werden. Schenkt man einer Studie der Ärztekammer Glauben, dann ist rund eine Million Österreicher von Burnout betroffen. Ich denke, es wird höchste Zeit, den gesunden Umgang mit Konflikten als Schutzbestimmung zu implementieren!

http://www.aerztekammer.at/medizin1/-/asset_publisher/o7Oy/content/burnout-1-million-osterreicher-betroffen/427872

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