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Dienstag, 10. Dezember 2013

Textfragment Ekel

Mein Hunger ist mit Nahrung nicht zu stillen. Den Eindruck, den eine lieblos zubereitete Speise hinterlässt, ist mit der Erkenntnis verbunden, dass Essen meine Zeit verschwendet. Der Akt der Nahrungsaufnahme an sich, wirkt auf mich absurd. Mit Behelfsmittel, die selten gut schneiden, geschweige denn in meinen Mund passen, schiebe ich mir das, durch kochen, braten und garen vorverdaute Zeug in den Mund. Ich ärgere mich über die überflüssigen Schneideversuche, über das Ordnen und Vermengen der Speisen. Dieser Mikrokosmus der sich Teller nennt verdirbt mir durch seine Einfachheit den Appetit. Die Handlungsabläufe sind streng reglementiert. Schneiden, anstechen, zum Mund führen, den Papp kauen und verschlingen! Ich bin dieser Vorhersehbarkeit überdrüssig. Mich an einem Stück Fleisch zu verschlucken erlebe ich als haptisches Highlight. Ein unterbewusstes Auflehnen gegen das Dogma der Nahrungsaufnahme! Der Moment des Würgens wird zu meiner heimlichen Revolution. Und doch werde ich besiegt, wenn sich dieser Brocken in meinem Mund wiederfindet, auf das Zerkaut drängend. Diese Kapitulation sabotiert mein Vertrauen in die Durchsetzungskraft meiner Selbst.
Besonders herausfordernd gestaltet sich das gemeinschaftliche Essen. Ich werde zum Zeugen des Zungenschnalzers, des, zu Rüschen gezogenen Giermauls, das geräuschintensiv den letzten Tropfen der Suppe vom Löffel saugt. Alles ergibt sich in unrhythmischen Kausymphonien. Der mechanische Akt wird von "mmmhhhs" und "aahhhhhs" untermalt. Zum guten Ton gehörend, wird die Speise ausgiebig gewürdigt, mit Adjektiven belegt, die die eigene Ehefrau zu Tränen rühren würde. Wenn ich unachtsam bin, verfängt sich mein Blick und starrt in den, von Nahrungsresten kontaminierten Rachen meines Gesprächspartners. Meine prompt aufkeimende Übelkeit zwingt mich zum sofortigen Abbruch der Kommunikation. Ein zusätzlicher Augenblick in diesem vorgelagerten Verdauungstrakt würde mich erbrechen lassen. Nachdem meine Irritationen nicht unbemerkt blieben, blieben auch irgendwann die Einladungen zu solchen Fressgelagen aus. Dieser Umstand hat mein Leben mit der Nahrungsaufnahme erheblich erleichtert. Gleichzeitig entspinnt sich in mir der unbändige Wunsch, gänzlich auf diese Herabwürdigung zu verzichten...

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