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Donnerstag, 23. Januar 2014

Textfragment Zug

Immer wieder stehe ich am Bahnhof. Nicht nur um zu verreisen oder um anzukommen. Ich beobachte die Züge, die, auf Schiene gebracht, irgendwo ihr Ziel erreichen. Mit ihnen die Fahrgäste, die sich offensichtlich der Fokussierung der Züge bewusst, auf dieses umweglose Unterfangen einer Zugfahrt einlassen. Ich beobachte Menschen, wie sie zielsicher ihren Bahnsteig finden. Das Handy ans Ohr geklemmt, eilen sie durch die Halle um noch ein Ticket zu lösen und dann im kalkuliert letzten Moment zuzusteigen. Jedes Mal beschleicht mich der Verdacht, dass bei diesen Menschen jeder Schritt sitzt. Ich vermute sogar, dass die Schritte bis zum garantierten Fensterplatz ausgezählt sind. Man könnte ihnen das Augenlicht nehmen und sie würden nicht mehr sehen als jetzt, wo sie ohnehin blind vor Eile und Beschäftigung durch die Halle zielen. Zu gerne würde ich einen dieser Menschen fragen, ob sie Fahrplanänderungen als Taktlosigkeiten wahrnehmen.
Manchmal nehme ich auch eine Unsicherheit wahr, die ganze Menschengruppen in eine Aufgeregtheit versetzt, das sich durch hektisches hin und her Eilen, konzentriertes Lesen und permanentes Kontrollieren bemerkbar macht. Die Angst, den Bahnsteig zu verwechseln, treibt den hauptberuflich Introvertierten dazu, wildfremde Menschen um Hilfe zu bitten. Die Vorstellung am falschen Dampfer zu sein,fordert jede Form der Absicherung um nicht gänzlich in Panik zu verfallen. Dafür werden persönliche Vorlieben zur Seite geschoben und Sprachbarrieren überwunden. Jedem hier scheint klar zu sein, dass, sobald sich die falschen Türen hinter einem schließen, das Leben einen gänzlich anderen Verlauf nimmt als geplant. Schließlich ist man ja der Hoffnung erlegen, dass mit dem Zug reisen in einem Zug durchreisen bedeutet. Keine Umwege, keine Staus, kein Verfahren - höchstens das Risiko des falschen Zusteigens. Spätesten nach Sicherstellung, dass man richtig sitzt, stellt sich Erleichterung ein. Das unbefangene, fast reflexhafte Winken aus dem Abteil hat den Charakter einer Stressabbaureaktion nach einer überstandenen, nahezu lebensbedrohlichen Situation.
Immer wieder stehe ich am Bahnhof und frage mich, wann ich wieder Lust habe, in den Zug zu steigen.

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