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Sonntag, 26. Januar 2014

Textfragment Hölle

Ich habe meine persönliche Hölle besucht. Ich zähle mich zu den Glücklichen, die nur hin und wieder vorbeischauen und nicht dauerhaft darin leben müssen. Ich zwinge mich förmlich dazu, regelmäßig nach dem Rechten zu sehen um sicher zu stellen, dass sich meine Hölle nicht wesentlich verändert oder schlimmer noch, dass sie dort bleibt, wo sie ist und sich nicht heimlich in meinen Alltag schleicht. Vor meinem letzten Besuch habe ich mich besonders gut auf meinen Höllenausflug vorbereitet. Ich habe mich in die nötige depressive Verstimmung versetzt, sämtliches Schuld- und Pflichtbewusstsein aufgeladen und eine Extraportion Weltenschmerz verdrückt - mehr als genug, um den  Magen bis hinauf zum Herzen zum Drücken zu bringen. Ich habe mir vorgenommen, extra lange zu darben, um für das herannahende Frühjahr, aus Termingründen, keinen weiteren Besuch einplanen zu müssen. Ich hatte wirklich den Eindruck, hervorragende Vorarbeit geleistet zu haben, um den Höllenaufenthalt zu einer Qual werden zu lassen. Diesmal ist alles schief gelaufen. Die Anreise gestaltete sich bei den davorliegenden Besuchen sehr beschwerlich und mühsam, sodass ich bereits gänzlich ausgelaugt die Darbstation erreichte. Bei diesem Ausflug ging alles reibungslos Glatt. Ich erreichte mein Ziel so schnell wie noch nie und hatte sogar den Eindruck, dass die Anreise mich entspannte. Ausgeruht angekommen, traf ich auf einen meiner Teufel. Er begrüßte mich freundlich und bot sich an, mir beim Tragen meines Schuld- und Pflichtbewusstseins zu helfen. Er erklärte, dass er, sofern ich ihn ließe, mich dorthin führen würde, wohin ich wollte. Ich war gänzlich überrascht. Das Suchen war in den Besuchen davor ein fixer Bestandteil meiner Qual gewesen! Und jetzt wurde mir ein persönlicher Höllenführer zur Seite gestellt. Besonders unwohl hatte ich mich bisher bei der Selbstgeißelung gefühlt. Dort wollte ich hin, um endlich mit dem Darben beginnen zu können. Mein Teufel nickte verständnisvoll milde und meinte in einem beschwichtigenden Ton, dass sie diese Tortur aufgrund der schleppenden Nachfrage aus dem Repertoire nehmen mussten. Er könne mir statt dessen eine Gruppensupervision anbieten. Leider gäbe es jetzt keinen freien Termin für ein individuelles Coaching. Er meinte, er würde mich wohlbehütet bei der Gruppe abgesetzt und sich unmittelbar danach, persönlich um einen Termin für mich in den nächsten Tagen kümmern. Ich war gänzlich baff! Wirsch fuhr ich ihn an, was denn mit meiner guten alten Hölle geschehen sei? Was war seit meinem letzten Besuch geschehen? Der Teufel überhörte meinen vorwurfsvollen Unterton, nahm beruhigend sanft meine Hand und antwortete verständnisvoll: "Bitte Frau Feirer, verstehe Sie uns. Auch wir als Hölle müssen unser Angebot den Bedürfnissen unserer Kunden anpassen!"

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